Jochen im Einsatz in Myanmar

Liebe Freunde und Unterstützer von Sonne! Ich darf mich kurz vorstellen, mein Name ist Jochen Meissner, eigentlich aus Traun/OÖ, ich lebe aber bereits seit 2012 in Myanmar, bin seit 2017 eng mit SONNE hier vor Ort verbunden, 2019 bin ich mit 2 Freunden 3000 Kilometer von Yangon nach Singapur geradelt, um auf unser neues Förderzentrum aufmerksam zu machen und Spenden zu sammeln.

Seit 2021 bin ich auch offiziell als Projektkoordinator hier in Yangon, der größten Stadt Myanmars tätig, seit Februar 2022 Vollzeit. Nachfolgend ein kurzer Bericht, wie das letzte Jahr so lief bei uns – es war kein einziger langweiliger Tag dabei, das kann ich versprechen!

Das Jahr 2022 war ein sehr ereignisreiches, Covid hatten wir hinter uns gelassen, aber die Auswirkungen des gewaltsamen Militärputsches vom Februar 2021 hielten das Land auch 2022 fest im Würgegriff, die wirtschaftliche Situation verschlechterte sich dramatisch, die Inflation galoppierte in astronomische Höhen, Preise für Grundlebensmittel verdoppelten, oder – wie im Fall von Speiseöl – verdreifachten sich sogar, und wie immer traf es die Ärmsten, jene, die ohnehin schon am Rande der Gesellschaft leben, am härtesten.

Kein Einkommen mehr aufgrund der wirtschaftlichen Lage, gepaart mit Lebensmittelknappheit und den in astronomische Höhen gestiegenen Preisen für Grundnahrungsmittel – auch die Familien vieler unserer Schülerinnen aus den ärmsten Vierteln von Yangon – wussten nicht mehr, was sie essen sollen – und oft haben sie es dann auch nicht mehr getan! Hunger und Mangelernährung waren die logische Folge – doch dank unserer UnterstützerInnen weltweit konnten wir die Not etwas lindern – eines unserer vielen Projekte im Jahr 2022.

SONNE in Myanmar(hier Sonne Social Organisation genannt)  betreibt vier Förderzentren für Straßenkinder bzw. Kinder aus den Slums, in denen sich unsere 16 Lehrerinnen und Sozialarbeiterinnen (insgesamt besteht unser Team in Myanmar aus 25 Personen) um 160 Kinder im Alter von 6-12 Jahren kümmern, die wir sprichwörtlich von der Straße bzw. in den Slums aufgesammelt haben – wo sie unter zum Teil schlimmen Umständen arbeiten mussten, um Geld für das Überleben ihrer Familien zu verdienen, meist Müll sammeln, um die verwertbaren Dinge wie Dosen, Flaschen, Karton  und ähnliches für ein paar Kyat an Großhändler weiterzuverkaufen.

Da weder ihre Eltern noch sie irgendwelche Papiere wie Ausweise oder Geburtsurkunden besitzen, existieren diese Menschen offiziell für den Staat gar nicht und werden auch dementsprechend behandelt, der Zugang zu Schulen bleibt ihnen verschlossen, dadurch ist ihre Zukunft auf den Straßen schon vorgezeichnet – schon früh sind sie mit bitterer Armut und Gewalt konfrontiert, der Weg führt oft direkt in die Kriminalität, Prostitution, Drogensucht. Unsere Sozialarbeiterinnen haben schon vieles gesehen, aber gottseidank können wir hier etwas bewirken. Diese 160 Kinder aus den schlimmsten Vierteln erhalten bei uns gratis Schulunterricht (non formal education), sie erhalten zweimal täglich gesundes und nahrhaftes Essen, sie werden regelmäßig von unseren Ärzten untersucht und behandelt – und unsere Liaison Officers verhandeln mit den lokalen Behörden und Ämtern, um Geburtsurkunden für sie ausgestellt zu bekommen – was ihre Eintrittskarte ins staatliche Schulsystem ist.

Bei diesem Prozess stehen wir ihnen natürlich auch zur Seite. So können wir jedes Jahr Ende Mai, wenn die Sommerferien in Myanmar vorüber sind (in den staatlichen Schulen – unsere Zentren sind das ganze Jahr über durchgehend geöffnet) 40-50 Kinder aus unseren SONNE-Zentren, ausgestattet mit Schuluniformen und Rucksäcken, „geschnäuzt und gekampelt“, begleitet von ihren stolzen Eltern und Lehrerinnen, an die staatliche Volksschule übergeben. Das ist immer ein ergreifender Moment für alle Beteiligten – auch ich vergieße regelmäßig so manche Träne, wenn es wieder so weit ist und wir eine handfeste Bestätigung dafür haben, dass unsere Arbeit nicht umsonst ist.

Jeden Freitag Nachmittag besuchen unsere Lehrerinnen (und oft auch ich) unsere SchülerInnen zu Hause in den Slums, sprechen mit den Eltern und Angehörigen und finden heraus, woran es fehlt – meist an vielem. Oft finden wir auch kranke Familienangehörige, denen wir Hilfe anbieten, wenn möglich, oder auch “neue” Kinder von neu in den Slums angekommenen Familien, denen wir dann, wenn von den Eltern gewünscht, einen Schulplatz bei SONNE anbieten.

Leider kommt es auch vor, dass wir die Eltern nicht überzeugen können, die Kinder in die Schule zu geben, da sie die Kinder lieber arbeiten schicken. Oft haben die Eltern selbst absolute keine Schulbildung und kennen nichts anderes im Leben  – das hat mich anfänglich sehr betroffen und traurig gemacht und macht es immer noch, aber man kann leider nicht allen helfen! Wenn die Eltern das nicht wollen, sind uns die Hände gebunden, wir sind eine kleine NGO und nicht das Jugendamt, rechtlich sind uns hier die Hände gebunden, mehr als wiederholte Überzeugungsarbeit können wir nicht leisten. Oft klappt es aber im zweiten oder dritten Anlauf, Aufgeben ist ohnehin etwas, das ich mir hier in Myanmar schon lange abgewöhnt habe, und meine Kolleginnen auch

Viele dieser Kinder, die wir dann ins staatliche Schulsystem integrieren können, bleiben SONNE auch viele Jahre danach treu, sie besuchen unsere Nachhilfeklassen, die wir parallel anbieten (120 Kinder von 8-14 Jahren besuchen diese täglich, auch an Wochenenden). Sie kommen auf Besuch oder helfen sogar als Freiwillige aus, wenn größere Projekte bei uns anstehen. Es kommt auch des Öfteren vor, dass ich bei Home Visits in den Slums von Jugendlichen angesprochen werde: „Lehrer, kannst Du Dich noch an mich erinnern, ich war dein Schüler, jetzt arbeite ich als Mechaniker / als Näherin, oder ich helfe jetzt auch den Kindern in meiner Nachbarschaft, ich muss nicht mehr Müll sammeln, ich kann meine Eltern unterstützen. Vielen Dank, dass ihr von SONNE mir geholfen habt!” Das sind so die Momente wo man weiß, dass man das Richtige macht, dass unsere Arbeit direkte positive Auswirkungen auf das weitere Leben unserer Kinder hat!

Ich selbst unterrichte einmal in der Woche Englisch für all unsere Kinder, was mir besonders wichtig ist, da ich erstens die Arbeit mit Kindern liebe, sie Englisch auch in der staatlichen Schule brauchen werden, und ich so auch regelmäßig “direkt dran” sein kann, mit den Lehrerinnen sprechen und sehen, was es für Probleme “on the ground” gibt – und das sind in den Slums in einem Land wie Myanmar nicht zu wenige, das kann ich euch sagen, aber gemeinsam mit meinem Team geben wir täglich unser Bestes, um da zu sein für unsere Kinder!

Neben der Schule und den Nachhilfeklassen bieten wir seit einigen Jahren auch Computerklassen an (vorwiegend MS Office, aber auch Photoshop ist sehr beliebt). Diese werden täglich von ca. 40 Kindern und Jugendlichen besucht, im ersten Stock gibt es für junge Frauen, auch oft unsere ehemaligen Schülerinnen, Nähkurse (an der Nähmaschine), welche ebenfalls von 20-30 Jugendlichen täglich besucht werden.

Soviel zur Arbeit in unseren Zentren, aber wir von SONNE machen noch viel mehr – wir arbeiten intensiv in den Communities (Nachbarschaften), aus denen unsere SchülerInnen kommen, die Slums von South Dagon im Osten von Yangon – wo Menschen keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung haben, Kleinkinder oft an leicht vermeidbaren Dingen wie Durchfall sterben, und wo allgemein die Not und Verzweiflung sehr groß ist. Die Menschen leben in Verschlägen aus Bambusstangen und Plastik oder alten Plakaten, ohne Strom, ohne fließendes Wasser, ohne Kanalisation, es ist unvorstellbar. Hier kommen wir regelmäßig mit unseren “mobile health camps” vorbei, wo ein Doktor die Menschen gratis untersucht und behandelt. Bei schwerwiegenderen Fällen organisieren wir auch den Aufenthalt im Krankenhaus und bezahlen die dort entstehenden Kosten – dadurch konnten wir schon viele Menschenleben retten. Die Health Camps führen wir auch in einigen Waisenhäusern in der weiteren Umgebung durch, die oft von buddhistischen Mönchen geleitet werden und komplett auf Spenden und Freiwillige angewiesen sind.

An dieser Stelle auch noch mein herzlicher Dank an die Deutsche Botschaft in Yangon, wo ich letztes Jahr ein Förderantrag eingereicht habe, der genehmigt wurde, und die uns 20.000 EUR zur Verfügung stellte zur Soforthilfe. Damit konnten wir tausenden Menschen in den Slums und in den Waisenhäusern Zugang zu unseren Health Camps verschaffen. Außerdem war es uns möglich, die Menschen dort mit Grundnahrungsmitteln wie Reis, Speiseöl, Zwiebeln und Linsen zu versorgen, damit sie zumindest für ein paar Wochen eine Sorge weniger hatten – nämlich, was sie am nächsten Tag essen werden

  • Computerklassen Myanmar

Seit 2022 haben wir unsere Arbeit nicht mehr nur auf Yangon beschränkt, sondern auf die großen Flüchtlingslager ca. 50 Kilometer nördlich der Stadt ausgeweitet, wo Hunderte Binnenflüchtlinge aus dem Chin Staat ein temporäres neues Zuhause gefunden haben. Ihre Dörfer in den Grenzregionen wurden oft zerstört, sie wurden als Zwangsarbeiter oder gar lebende Minenräumer missbraucht, nun sind sie in Scharen in die Nähe von Yangon geflüchtet, über 1000 Kilometer von ihrer Heimat entfernt, in der Hoffnung auf etwas Sicherheit. Hier sind sie zwar relativ sicher, doch haben so gut wie keinen Zugang zu Ärzten oder Krankenhäusern, es gibt keine Arbeit für die jungen Menschen und auch der Schulbesuch für die Kinder, wenn überhaupt möglich, gestaltet sich oft schwierig, da die Schulen viele Kilometer weit weg sind, was vor allem in der Regenzeit ein großes Problem ist.

Wer mich kennt, weiß, dass mir die Menschen aus dem entlegenen Chin Staat besonders am Herzen liegen, und so beschloss ich nach meinen ersten Besuchen 2021 dort, diese Lager auch in die Arbeit von SONNE zu integrieren. Zu meiner Erleichterung habe ich hier offenen Türen eingerannt und meine Kolleginnen waren sofort bereit zu helfen. Seitdem konnten wir mehr als ein Dutzend Health Camps vor Ort durchführen. Oft hatten die Menschen seit vielen Jahren nicht mehr die Möglichkeit einen Arzt aufzusuchen und waren sehr dankbar. Des Weiteren haben wir im Verlauf des Jahres mehrere 10.000 Kilo Reis und Speiseöl gebracht, was die schlimmste Not gelindert hat. Es handelt sich hier nicht um ein großes Camp, sondern um 7-8 kleinere Camps an verschiedenen Lokalitäten (alle informal, d.h. inoffiziell, eher Hüttendörfer als Flüchtlingslager, wie man sie aus dem Fernsehen kennt)

  • Lebensmittelverteilung, Hilfe für Myanmar

Eines meiner absoluten Highlights, gemeinsam mit Sonne und meinen lieben Freunden Raphael un Ko Zin (ein junger französischer und ein burmesischer Architekt), die sich auf Bambuskonstruktionen spezialisiert haben, war die Errichtung eines Kindergartens/Vorschule komplett aus Bambus im Khumi Su Flüchtlingslager im September, das von den begeisterten Kindern und Lehrerinnen gleich in Beschlag genommen wurde – und nur zwei Monate später, doppelt so groß, einen Schlafsaal für ein Waisenhaus/Kinderheim für bis zu 40 Kinder aus den Kriegsgebieten im benachbarten Bethala Camp.

Bei der kleinen Eröffnungsfeier mit traditioneller Musik und Tanz , nach der auch die ersten Kinder bereits ihr neues Heim bezogen, blieb wohl kein Auge trocken, vor allem meine nicht, obwohl ich ein ziemlicher Hüne mit fast 2 Metern und 100 Kilo bin, bin ich hier doch “ziemlich nah am Wasser gebaut” – die Schicksale dieser Menschen lassen mich nicht unberührt! Ich sehe das Leid und weine mit ihnen, sammle dann aber all mein Kraft, Willensstärke und Disziplin, um alle Hebel und Kontakte in Bewegung zu setzen um etwas für die Menschen zu tun, egal ob in den Slums, Waisenhäusern oder Flüchtlingslagern, wo auch immer Hilfe am Dringendsten gebraucht wird. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg, ich weiß, wie privilegiert ich bin und ich bin unendlich dankbar, dass ich die Möglichkeit habe, vor allem auch durch die Arbeit mit SONNE, dass ich jenen helfen darf, die es in der Geburtslotterie weit weniger gut erwischt haben als ich.

 Aufgeben war noch nie eine Option für mich! Es gibt noch sehr sehr viel zu tun hier in Myanmar!

Da 2022 trotz aller Widrigkeiten ein besonderes Jahr für mich war – 10 Jahre in Myanmar, meine Verlobung (am Gipfel des Traunsteins übrigens), mein 45. Geburtstag und mein Vollzeitstart bei SONNE, so dachte ich mir , ich möchte auch die Kinder an meinem Glück teilhaben lassen – nach kurzer Diskussion mit unserer Vorsitzenden Fr. San San und unserer Lehrer-Ausbildnerin Ohmar war der Plan besiegelt – wir fahren alle in den Zoo von Yangon! Aufgeteilt auf 4 Gruppen/Tage im November und Dezember haben insgesamt 150 unserer Kinder einen ereignisreichen Tag im Zoo verbracht. Die meisten von ihnen waren noch nie außerhalb der weiteren Umgebung ihres Slums, das Zentrum von Yangon ist für sie genauso weit weg wie für euch Myanmar.

Elefanten, Affen, Tiger, obwohl in Myanmar beheimatet, kannten sie nur aus den Bilderbüchern bei SONNE … Die Stunden im Zoo mit Eisstanitzel, leckerem Mittagessen, Affen , Elefanten und Nilpferde füttern , Tiger bestaunen und so weiter vergingen wie im Flug, und als es am Nachmittag mit dem Bus wieder nach Hause ging, waren die Hälfte schon eingeschlafen, übermannt von den ganzen neuen Eindrücken und Erlebnissen, die ihnen dieser Tag beschert hatte. auch für mich waren dies unvergessliche Tage und ein wunderbarer Weg, um ein bisschen von dem Glück weiterzugeben, das mir zuteil wurde.

Ich hoffe, ich konnte euch einen kleinen Überblick verschaffen, was ich und vor allem das SONNE-Team so gemacht haben im letzten Jahr. Unsere Arbeit ist ganz sicher weder leichter noch weniger geworden, ganz im Gegenteil, aber wir sind hier im Einsatz, jeden Tag, und tun, was wir können für die Menschen hier in Myanmar. Ich bedanke mich sehr herzlich bei jeder und jedem einzelnen von euch, der unsere Arbeit hier vor Ort unterstützt, bitte macht weiter, vor allem unser Notfallfonds muss immer gefüllt bleiben. Am Schlimmsten für mich wäre es, wenn Menschen in Not sind, krank und hungrig, und ich nichts mehr für sie tun könnte, weil unsere finanziellen Ressourcen versiegt sind – bitte vergesst uns nicht hier in Myanmar! Updates gibt es auch auf der Homepage, facebook und instagram page, bitte teilt unsere Posts, erzählt euren Freunden davon, je mehr Leute von uns und unserer Arbeit wissen, umso mehr potenzielle Unterstützer gibt es hoffentlich!

Ich werde hierbleiben und nicht aufgeben, nicht aufhören, werde da sein jeden Tag, für die Menschen, die uns brauchen – bitte lasst uns nicht alleine!

Vielen Dank, liebe Gruese aus Yangon, Myanmar

Euer

Jochen