Afar 2016 – der tägliche Kampf ums Überleben geht weiter…

Diesmal treffe ich mit recht gemischten Gefühlen in Äthiopien ein. Die Nachrichten der vergangenen Wochen waren nicht gerade erfreulich – Unruhen und Proteste gegen die Regierung vor Allem südlich von Addis Abeba in der Oromiya-Region und auch in Bahir Dar, der nördlich gelegenen Hauptstadt der Region Amhara lassen mich Schlimmes erwarten. Seit etwa 6 Wochen gilt eine nationale Notstandsverordnung und nur eine Neubesetzung einiger Regierungsämter konnte die Lage ein wenig beruhigen. Zusätzlich gab es in unserer Projektregion Afar, im nördlichen Tiefland, einen Tag nach meinem letzten Besuch wieder einen Zusammenstoß militärischer Einheiten aus Äthiopien und Eritrea mit tödlichen Verlusten auf beiden Seiten.

Daher gelten meine ersten Besuche lokalen Freunden und Organisationen, um ergänzend zu den Informationen des österreichischen Außenministeriums zu erfahren, wie sich die Verhältnisse zurzeit darstellen und welche Sicherheitsmaßnahmen ich zu treffen habe.

Tatsächlich stellt sich heraus, dass die Lage weit ruhiger und sicherer ist, als ich erst befürchten musste. Es gibt zwar recht harte Einschränkungen für sehr viele Berufszweige und gerade äthiopische Journalisten und Oppositionelle könne nur mehr sehr eingeschränkt agieren, aber es gibt derzeit keine gewaltsamen Zusammenstöße und – zumindest in Addis Abeba – ist keine erhöhte militärische Präsenz erkennbar.

Ich fliege daher einigermaßen entspannt nach Semera und werde dort von einem alten Bekannten, Hummed, mit dem Auto abgeholt und nach Logyia zu unserer Partnerorganisation APDA gebracht. Mit mir im Auto sind auch gleich ein paar andere Mitarbeiter von APDA und auch Carol, eine britische Geburtshelferin, die einen drei-monatigen Dienst in unserem Partner-Spital, der Barbara May – Klinik in Mille antritt. Die knapp 20 Minuten Fahrzeit vergehen somit bei lockerer, kollegialer Plauderei.

In Logyia ist, abgesehen von etwas mehr Polizei und militärischer Präsenz, nur wenig von der gegenwärtigen innenpolitischen Krise festzustellen – allerdings ist die archaische Gesellschaft der Afar sehr eigenständig und traditionell im Konflikt mit Addis Abeba

In Logyia ist, abgesehen von etwas mehr Polizei und militärischer Präsenz, nur wenig von der gegenwärtigen innenpolitischen Krise festzustellen – allerdings ist die archaische Gesellschaft der Afar sehr eigenständig und traditionell im Konflikt mit Addis Abeba

Der Empfang bei APDA fällt erfreulicherweise sehr kurz, locker und freundschaftlich aus. Nach mittlerweile 12 Jahren Zusammenarbeit kann man das Verhältnis nur mehr als familiär bezeichnen und ich war ja erst vor 6 Monaten hier.

Mit besonderer Freude stelle ich fest, dass die über unser Projekt angekaufte neue Ambulanz endlich eingetroffen ist – zu lange haben uns die strengen Einfuhrbestimmungen und die strikte Finanzpolitik Äthiopiens behindert. Zum großen Amüsement meiner äthiopischen Kolleginnen streichle ich das Fahrzeug, als wäre es ein lang vermisstes Familienmitglied. Tatsächlich aber wird dieses Fahrzeug Leben retten – ein unbedingtes MUSS im schweren Gelände der entlegenen Gebiete in der Afar-Region!

Im Büro treffe ich drei weitere Landsleute – Katharina, Denise und Marek; drei junge ArchitektInnen, die ihre erste Reise zu den Afar noch als StudentInnen gemeinsam mit uns von SONNE-International unternommen haben und nun am Aufbau einer Ziegelproduktion auf Basis der lokal verfügbaren Ressourcen und der indigenen Kenntnisse der Afar arbeiten.

Dann das Gespräch mit der Leiterin von APDA, Valerie Browning, und… der erste große Schock! In unserer Projektregion gibt es einen Ausbruch von Cholera, der sich zu einer Epidemie auszuwachsen droht und bereits zahlreiche Todesopfer gefordert hat. Nach der verheerenden Dürre 2015 und der diesjährigen Hungerkatastrophe sehen sich die Afar damit mit einer weiteren lebensbedrohlichen Gefahr konfrontiert.

Daher beschließe ich, meinen Reserve-Tag nicht für Büroarbeit und Entspannung, sondern für ein außerordentliches Training für meinen WASH-Kollegen in SODIS zu nutzen. SODIS ist eine anerkannte und sehr simple Methode der Wasseraufbereitung, die auf der UV-Behandlung durch Sonneneinstrahlung basiert und außer PET-Flaschen – in denen sämtliche Getränke im Handel angeboten werden – nur ein wenig handwerkliches Geschick bedarf und zu 99.99% Cholera-Bakterien abtötet.

Der eigentliche Schwerpunkt meiner diesmaligen Reise liegt aber darin, meinen KollegInnen von APDA im „ PCM – Project-Cycle-Management“ zu trainieren. PCM ist ein international anerkanntes und von allen großen Finanzierungseinrichtungen angewandtes und gefordertes System der Projektabwicklung für humanitäre und entwicklungspolitische Projekte. Durch dieses Training soll die Eigenständigkeit unseres Partners APDA bei Einreichungen und Abwicklungen gestärkt und unsere gemeinsame Zusammenarbeit deutlich verbessert werden.

Wie zu erwarten, ist das Interesse am Training groß und auch die Vorkenntnisse durchaus ansehnlich – leider aber auch die Störungen während der Trainingseinheiten durch dringende Aufgaben der Mitarbeiterinnen von APDA. Die gegenwärtige Krise in der Region hat Vorrang…

Nach 6 – statt ursprünglich geplanten 5 Trainingstagen – ist das Trainingsziel erreicht und ich werde als traditioneller Afar-leader „verkleidet. Naja, eine kleine Feier gehört halt auch immer dazu…

Abschluss-Zeremonie mit Übergabe der Zertifikate und ich als Afar-leader…

Die verbleibenden 4 Tage nutze ich für Nachbesprechungen und Evaluierung der vergangenen Projektabläufe und Trainings (IT-Sicherheit, Wasseraufbereitung und Abfallwirtschaft), für Vorbereitungen zukünftiger Maßnahmen und Modifikationen in Kommunikation und Kooperation sowie zu einem Besuch im langjährigen Projektgebiet Uwwa und in unserem Hostel für junge Afar, die eine weiterführende Schule besuchen. Ein Arbeitstag hat mindestens 14 Stunden…

Schließlich geht es dann wieder zurück nach Addis und zu weiteren Meetings mit befreundeten Organisationen, öffentlichen Stellen und natürlich abschließend das wichtige Reporting beim Kooperationsbüro der Austrian Development Agency des österreichischen Außenministeriums. Auch dort ist man besorgt über die Entwicklungen in der Afar-Region und man versichert mir, dass es von offizieller österreichischer Seite Verständnis für die vorliegenden Probleme gibt und alles unternommen werden soll, um der Situation wieder Herr zu werden.

Tatsache bleibt aber, dass Dürre, Hunger und Cholera viele unserer Maßnahmen gefährden und wir gegenwärtig kaum mehr von der Umsetzung der Entwicklungszusammenarbeit sprechen können, sondern dass wir – trotz all unserer vereinten Bemühungen – von einer humanitären Katastrophe ausgehen müssen.

Gerade deshalb wird SONNE-International gemeinsam mit APDA aber auch weiterhin bemüht bleiben, alles zu tun, was das Überleben der Afar sichern kann. Hoffentlich kann ich im kommenden Jahr wieder von einer Entspannung der Lage berichten! Bis dahin…