Die verstümmelten Mädchen von Gewaane

Ernüchternd war der erstmalige Besuch unseres Gesundheitsprojektes in Gewaane, wo wir ein von der ADA finanziertes Gesundheitsprojekt besuchten und in dem wir uns vor allem um Frauen- und Kindergesundheit kümmern.

Gewaane befindet sich 300 Km südlich von Logya: Neben dem Awash –Fluss ist eine größere lose Siedlung mit etwa 700 Haushalten entstanden, deren Menschen in größter Armut und Abgeschiedenheit leben. Am Rande des Dorfes gibt es große Mais- und Baumwollplantagen. Zuerst denken wir, es kann den Einheimischen ja wohl nicht schlecht gehen, oder?

Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Felder gehören externen Konzernen, die zumeist sogar ihre Feldarbeiter von außen mitgebracht haben. Das Umfeld blüht und gedeiht – die ansässige Bevölkerung muss dabei zusehends verhungern.

Die Dorfbewohner leiden unter Mangelernährung, Malaria und Durchfallserkrankungen. Fast allen Kindern war die Mangelernährung sogar ins Haar geschrieben. Ins Haar geschrieben? Ja, denn ein Anzeichen von Unterernährung sind die blonden oder rötlichen Haare der Kinder. Und von denen gab es viele. Sehr viele sogar.

Mangelernährt

Mit großem Enthusiasmus erzählte uns eine von SONNE finanzierte Gesundheitsbetreuerin von den Erfolgen im Kampf gegen FGM. Ich freute mich sehr, dass unser Bemühen so rasch Wirkung zeigen. Das Aufklärungs- und Gesundheitsprojekt hat erst vor einem Jahr begonnen und schon geht die Zahl der Verstümmelungen zurück! Doch plötzlich passierte es: Unsere Euphorie und Freude wurde plötzlich von Valeries Schimpfen und Schreien unterbrochen. „Ohhhh noooo! This cannot be!“ Das Dorf lief zusammen. Was war los? Was war passiert?

FGM-Aufklärung2

Was war zuvor geschehen? Valerie tat dasselbe wie immer: Sie spielte mit einem kleinen Mädchen. In einem unbeobachteten Moment tat sie das, was sie immer tut. Sie wollte sich mit ihren eigenen Augen überzeugen. Also öffnete sie die Beine der Kleinen, um zu kontrollieren, ob das Mädchen beschnitten sei. Doch diesmal traute sie ihren Augen nicht. Die schlimmste Form der Beschneidung war an diesem kleinen Mädchen vollzogen worden. Nicht wie sonst üblich die Sunna, also die Entfernung der Klitoris, sondern die Infibulation – dabei werden dem Mädchen die Schamlippen mit einer Rasierklinge bei vollem Bewußtsein abgetrennt und dann mit einen Bindfaden die Vagina zugenäht. Dann fiel Valeries Blick auf ein weiteres Mädchen und dann noch auf ein weiteres. Valerie war entsetzt – sie schrie – wir waren alle zutiefst geschockt. Keine Rede von Erfolg gegen die weibliche Genitalverstümmelung. Die Vagina der Mädchen war bis auf eine kleine, stecknadelgroße Öffnung zugenäht worden! Die Mutter der Mädchen meinte nur, dass sie davon nichts mitbekommen habe, denn sie sei bei der Entbindung ohnmächtig geworden. Die Schwiegermutter hätte dies veranlasst. …

FGM-Aufklärung1

Ich denke, es wird wohl noch mehrere Generationen dauern, bis die Menschen von dieser unmenschlichen, menschenverachtenden Tradition ablassen werden. Der Kampf gegen die Genitalverstümmelung wird allerdings nur dann gewonnen werden können, wenn der Kampf gegen die Armut gewonnen wird. Dann, wenn Schulbildung flächendeckend angeboten werden kann und wenn sich das Verständnis dafür in den Köpfen der Bewohner durchsetzen kann. Für die SONNE bedeutet das: Wir dürfen nicht aufgeben. Wir müssen auch in Zukunft alles daran setzten, dass alle Menschen, egal wo sie geboren werden, die gleichen Chancen auf ein menschenwürdiges Leben bekommen.

Genitalverstümmelt